Gedankenkiosk

Gedankenkiosk - Kolumne

Keine Zeit zum Lesen? Hier der Gedankenkiosk zum Hören:

Gedankenkiosk – der Blogcast!

Kein Vizefreitag aber Fülle im Kopf und im Herzen. Tage wie die schönsten Töne und die buntesten Farben, wie das Harken von Sand in kleiner Schale, wie Katzenfell und weiche Hundeohren. Menschen auf Bühnen, singend und sprechend, und immer wieder dieser eine Gedanke: Was wäre das Leben ohne Kunst und Kultur? Fad. Auf die letzten Jahre zurückgeschaut und wieder einmal flatterte der Begriff „Systemrelevant“ im Gedankenkiosk vorbei. Künstler, die selber zusehen mussten, wie sie klarkommen – und falls mit Hilfen unterstützt,  diese finanzielle Unterstützung bis heute in Raten wieder abstottern. 

Leben wir wirklich noch immer in einer Gesellschaft, in der Malen, Singen und Co als „Nice to have“ in die Kopftätschelschublade sortiert wird? Mir ist der Unterschied einer medizinischen Behandlung und eine Konzertes natürlich bewusst, aber für meinen Geschmack denken wir viel zu einseitig, in viel zu starren Rastern. Was nicht wissenschaftlich bewiesen ist, hat keine Gültigkeit. What the F..k? Sollten wir uns statt dieser Arroganz nicht lieber an Sokrates halten und eingestehen „Ich weiß, dass ich nichts weiß“? Ich bin mir sicher: Bevor Pythagoras und Platon der Erde die Kugelform verpassten, meinten die Menschen auch zu 100%ger Sicherheit, dass die Erde eine Scheibe ist und Punkt. „Öhm, naja – hör mal –  ist doch nix anderes wissenschaftlich bewiesen!“ 

Aber ich schweife ab – worum es mir geht: Es gibt mehr Dinge, die für die Seele und die körperliche Gesundheit eines Menschen ebenso wichtig sind, wie Spurenelemente und Ausdauersport. 

Unsere Gefühle sind in meinen Augen ein zentraler Punkt für unser Wohl- und Missempfinden – und keinen Kontakt zu ihnen zu haben, kann krank machen. Und beraubt uns einer wichtigen Eigenschaft: Mitgefühl. Und nun kommt’s: Kunst in jeglicher Form bringt uns mit uns in Kontakt! Sie erzeugt Gefühle, holt sie hervor, konfrontiert uns mit ihnen. 

Die letzten zwei Wochenenden waren voll mit Aktivitäten – und voller Gefühle, und ich fühle mich heute energiegeladen und in Kontakt mit mir, obwohl ich mitten im Umzug stecke. Da war Freude über den Mut und die Kreativität von Künstlern am Freitag bei einem Singer Slam, Faszination und Demut am Samstag im Planetarium, Sonntag Spannung und Spaß im Escape-Room. Am nächsten Freitag wieder ein Gefühl von „Erfüllt sein“ beim Konzert von Jan Plewka und Marco Schmedtje im Nochtspeicher, am Samstag Zuneigung, Neugierde und Freude bei guten Freunden und guten Gesprächen, und gestern dann Trauer und Begeisterung gleichzeitig im Theater. 

Wenn ich das so lese müsste ich fix und fertig sein – eine Gefühlsparty, eine Emotionenflashmob. Aber – es tut gut. Und ich bin dankbar, denn Kunst und Kultur machen das mit mir. Heute denke ich einmal wieder über die Endlichkeit des Lebens nach, über die wunderbare Gefühlsduselei, die ich mir nicht nur erlaube, sondern die ein Teil von mir ist, meine Tränen im Theater, da ich „Dienstags bei Morrie“ vor 27 Jahren gelesen habe, aber nicht wieder, seit ich einen geliebten Menschen vor zehn Jahren beim Sterben erlebt habe. Das Stück hat mich noch einmal anders berührt, Trauer hervorgeholt und andere Fragen gestellt. Und auch wenn ich mich nicht gern in bereits gelebtem Schmerz aufhalte, klingt es positiv nach. Und ich bleibe dabei: Gefühle sind unser höchstes Gut. Lasst sie zu, pflegt sie, macht ihnen Platz, äußert sie, teilt sie, nehmt sie ernst, nehmt sich wahr, beschäftigt Euch mit ihnen und setzt Euch mit ihnen auseinander. Sie machen uns menschlich. Und das kann nur Gutes hervorbringen.

Kolumne – Gedankenkiosk

No Vizefreitag, aber einer früher. Passt heute, also wird das so gemacht. Tage wie zweiter Gang und Gas für den fünften, wie Karibik mit warmem Zimtkakao.

Frage mich immer wieder, wieso ich auf Facebook nur noch bekloppte „Vorschläge für dich“ bekomme – nur noch GlamspamOmasApothekenRezepte-Seiten, die irgendeinen Müll posten – beruht das auf meinem Leseverhalten? Also auf nix? Ich lese ja nix mehr, ich klicke nur noch weg. Und dann scrolle ich mich weiter durch die krude Mischung aus Pilszsammelwanderungen und Werbung für ein Michael-Jackson-Musical und kann mich gar nicht entscheiden, worauf ich mehr Bock habe.

Manchmal ist mir die virtuelle Welt fremder als der neue Postbote, der gefühlt nie bei mir hält, sich aber bestimmt genauso oft wie ich immer noch fragt, warum zum Kuckuck die Hausnummer 4 zweimal existiert. Smileys und Bok haben das inzwischen gebucht – das Essen bleibt also warm und an meine Briefe gelange ich früher oder später immer. 

Zurück zum WWW. Dieses Miteinander oder vielmehr Gegeneinander, was ich häufig in den Kommentaren wahrnehme – Menschen, die sich gegenseitig beleidigen, die klugscheißern, dass man ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln bekommen könnte, die – anstatt einfach weiterzuscrollen – die Anonymität des Internets nutzen, um ihr hässliches Inneres zu zeigen, alles ungefiltert rauskloppen, was ihnen gerade durch die Nervenbahnen zuckt – war das früher schon so? 

Waren wir einfach weniger im Netz und kam es mir deshalb noch nicht so inflationär vor mit dieser Kommentarinkontinenz? 

Gerade habe ich ein bisschen in meinem alten Blog gestöbert – November 2005 ging der erste Text von mir online. Ein Blog – ey, das war sowas von NEU, das war sowas von OhYeah,-wir-sind-die-Ersten, also man traf sich nach einer Weile des Schreibens in einer gemütlichen Runde im Internet, kaum zu glauben. Schön war das – immer dieselben Nasen, irgendwie kannte man sich gar nicht und dennoch… Freundliche, frotzelige, intelligente Kommentare mal hier oder da, ich kann mich an keine einzige Löschung erinnern. Ich habe ein bisschen Sehnsucht nach diesem Ort. 

Gestern erzählte mir eine Klientin, die Mitte Zwanzig ist, dass sie Sorge habe, dass mit Anfang 40 der Spaß vorbei sei, da ihr jemand in diesem Alter auf einer Feier wehmütig aus seinen Zwanzigern berichtete. Ob das wohl so sei, wenn man älter wird, ob man dann der Jugend hinterhertrauere? 

Kann sein, dass es manchen Menschen so geht. Kann aber auch sein, dass es eher ein Gefühl ist, welches sie vermissen. Ein Gefühl für sich und die Welt um sie herum, dass ihnen in ihrem gegenwärtigen Leben etwas fehlt, was damals da war – Flexibilität, Freiheit, Leidenschaft, Verbundenheit … oder irgendetwas anderes?
Es gilt, genau hinzuschauen, ob wir wirklich eine Alterszahl vermissen oder ob uns ein Zustand abhandengekommen ist, der sich damals gut angefühlt hat.

Ich für meinen Teil erhöhe gerade wieder aktiv die Anzahl meiner Live-Begegnungen mit echt guten Menschen. Positive Energie, die sich gegenseitig beflügelt, Einblicke in Gedanken, Austausch und Kontakt. 

Und vielleicht auch einfach wieder mehr Blog anstatt Insta und Facebook.

Wenn Du Lust hast, ein bisschen was aus „2005 plus“ zu lesen, dann klick doch mal hier:

www.dieschroederei.com

Wonach hast du manchmal Sehnsucht?

Über mich – Auflösung 3

Über mich

Mein Herz klopft so laut, die Schlangen müssten wach davon werden. Wir stehen in einem Kellerraum, Boden und Wände sind gekachelt, einige dicke Äste sind verteilt, meine Augen suchen … und finden. „Eine schläft, und da, sie ist wach!“ Rüdiger Nehberg zeigt auf eine riesige Schlange links auf dem Boden. „Die sind eigentlich harmlos, Du darfst nur nicht zulassen, dass sie Dich umwickeln. Wenn sie Dich hat, dann zieht sie sich jedes Mal, wenn Du ausatmest, enger, bis Du keine Luft mehr bekommst. Der Trick ist, sie dann vom Schwanz her abzuwickeln, wir haben das ausprobiert.“ Mit offenen Mündern schauen wir ihn an, dann die Schlange … 

„Möchtest Du?“, er schaut mich aufmunternd an. 

„Was?“, frage ich. 

„Sie einmal um die Schultern nehmen?“

Ich schlucke. Ich mag Schlangen. Aber ich hatte noch nie so eine große direkt vor mir. Dann spüre ich, wie ich nicke, meine Neugier ist größer als alles andere. Noch ein paar Instruktionen bekomme ich, dann fühle ich das Gewicht des Tieres auf meinen Schultern, meinem Nacken, meinen Armen, sie bewegt sich, ich halte sie und taste vorsichtig mit meinen Fingern über ihre Haut. Rauh, trocken, schön. Einen Augenblick noch. Dann wird sie schwer und Rüdiger Nehberg nimmt sie mir wieder von den Schultern. „Gut gemacht“, lächelt er. Mit unserem Interview im Gepäck bedanken wir uns bei ihm, wir haben eine Menge Material für ein richtig gutes Referat – es wird Zeit, den anderen in unserer 8. Klasse von der Bedrohung der Yanomami-Indianer zu erzählen.

Anmerkung: Rüdiger Nehberg starb im April 2020. Er war ein Menschenrechtler, ein Aktivist, der sein Leben dem Einsatz gegen Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeiten verschrieb. Bekannt wurde er für seine spektakulären Aktionen, 1982 machte er sich das erste Mal auf den Weg zu den Yanomami, dem größten, recht isoliert lebenden indigenen Volk Südamerikas, welches durch Goldsucher in ihrer Existenz bedroht wird. In den Achtzigern drangen über 40 000 Goldsucher in ihren Lebensraum ein, töteten, schleppten Krankheiten ein, zerstörten Dörfer. In nur sieben Jahren starben etwas 20 Prozent der Yanonami. 

Im Jahr 2000 engagierte Rüdiger Nehberg sich für ein weiteres Thema: Genitalverstümmelung bei Frauen. Er und seine Ehefrau gründeten Target e.V. Täglich werden 8000 Mädchen und Frauen verstümmelt – Nehbergs Verein kämpft nach wie vor dagegen: https://www.target-nehberg.de/de

Wir hatten damals den Auftrag, ein Schulreferat zu verfassen und stießen auf Rüdiger Nehberg und seinen Kampf für die Rechte der Yanomami-Indianer. Wir durften zu ihm nach Hause kommen, um ihn zu interviewen. Ich erlebte ihn als unglaublich netten, humorvollen, gastfreundlichen Menschen, der uns Schülerinnen diese tolle Möglichkeit gab und uns seine Zeit und einen Einblick in seine Arbeit schenkte.
Ein Jahrzehnt nach diesem Interview sah ich Rüdiger Nehberg noch einmal bei einem Vortrag an der Universität Hamburg. Noch nie habe ich einen Menschen erlebt, der so sehr für das brennt, was er tut, der mit so einer Überzeugung, Leidenschaft und Engagement erzählt und sich einsetzt. Medien berichteten häufig von ihm als „Der muss verrückt sein“, weil er ungewöhnliche Dinge tat (siehe Interview unten). Meiner persönlichen Meinung nach wäre die Welt ein besserer Ort, wenn es mehr Menschen wie ihn gäbe.

Ein interessantes Interview gibt es hier zu lesen:

https://www.spiegel.de/geschichte/ruediger-nehberg-wird-80-ich-habe-es-immer-mit-dem-teufel-gehalten-a-1031228.html

Über mich – Auflösung 2

Über mich

Gefühlt bin ich erst seit gestern wieder Single nach einer neunjährigen Ehe. Ich weiß nicht, wie das geht – daten. Und eigentlich habe ich auch keinen Bock darauf. Doch per Zufall sind wir uns nun über den Weg gelaufen. Nach 23 Jahren.

Auf dieselbe Schule sind wir gegangen, wir fanden uns damals gut – Du Punk, ich Rock, doch zueinander gefunden haben wir nie. 23 Jahre haben wir uns nicht gesehen, und nun steigst Du aus dem Taxi vor Deiner Haustür und ich, wie gesagt – keine Lust auf den Datingtanz beschließe die Flucht nach vorn: 

„Und was ist jetzt? Ich hab keine Lust, auf einen Anruf zu hoffen oder selber Nachrichten zu schreiben, die vielleicht nicht beantwortet werden. Also – wie geht’s weiter, was meinst Du, ganz ehrlich?“ 

Du lachst, schaust mich an und sagst:

„Jetzt? Jetzt heiraten wir!“

Ich lache lauter und denke: „Ich heirate kein zweites Mal. Niemals.“

Fast drei Jahre später stehen wir vorm Standesamt, ich in einem feuerroten Kleid und schwarzen Nägeln, Du im dunklen Anzug mit Totenkopf-Krawatte. Schick sehen wir aus. Unsere Familie und unsere Freunde – alle sind da. Wir tauschen Ringe, in die eine Zeile aus einem Muff-Potter-Song graviert ist. Ein Song, den Du mir ganz am Anfang, im Frühjahr 2015, schicktest: „Das ist jetzt und das ist hier. Und das sind wir.“ 

Über mich – Auflösung 1

Biografisches Schreibratespiel

Hier die erste Auflösung meines kreativen Rateschreibspiels „Über mich“ vom 7. August 2023, die Nummer 5 ist wahr. Und das Ganze begab sich folgendermaßen:

Wieder ein Donnerstag, wieder auf dem Weg in den Kaiserkeller. Ich wohne in einem Stadtteil Hamburgs, der so charmant ist, wie diese dünnen Papierservietten in Eiscafés, die alles verteilen aber nichts aufsaugen. Mein Fiat Panda klappert unterhaltsam, das Autoradio funktioniert erst mit sanftem Fußtritt, es ist 21:30 Uhr, der Wecker klingelt auch die nächsten zwei Wochen um 6, doch ich bin jung und Nächte durchzumachen ist reine Trainingssache. 

Tagsüber bin ich in der Buchhaltungsabteilung der Holsten-Brauerei, die Stunden dazwischen verbringe ich auf der Tanzfläche unter der Erde oder bei Musikproben im Luftschutzbunker. Kurt Cobain ist seit über einem Jahr tot, doch es ist noch immer die Zeit des Grunges, des Alternativrocks, wir haben wilde, gefärbte Haare, karierte Hemden und dicke Boots an und ich bin auf der Suche nach coolen weiblichen Vorbildern und einem norddeutschen Eddie Vedder und versinke in „Reality Bites“.

Die besten Stunden, das sind die, wenn die schwere Tür des Bunkers nachgibt und wir die kühlen Räume betreten, in denen es im Erdgeschoss nach Urin und Muff riecht. Vier Stockwerke hoch, aufschließen – und drei Stunden das Beste der Welt machen: Musik mit Freunden. Schmerzende Arme an Wochenenden – wir schleppen Boxen und Instrumente, laden sie ins Auto, spielen in der Prinzenbar, auf dem Rathausmarkt, im Knust, Marxx … 

Das und der Kaiserkeller – zwei Orte, die meiner Melancholie und dieser immer wieder drängenden Frage „Wo gehöre ich hin?“ ein paar tröstende Antworten anbieten.

Dreißig Minuten später – ankommen auf dem Kiez, das Unmögliche schaffen: einen Parkplatz finden. Treppen runter in den Keller, Jacke beim DJ deponieren, checken, wer da ist, Selter holen, dann rauf auf die Tanzfläche und vier Stunden nur noch zum Trinken und kurz „Hallo“ sagen pausieren: Stone Temple Pilots, Garbage, Smashing Pumpkins, Pearl Jam, Soundgarden, ich bewege mich, ich schwitze, ich fühle jeden Ton, es ist, als polstere die Musik mich von innen gegen alles, was von außen kommen mag. 
Mit Tom, dem DJ, kurz schnacken, auch mal über Musik, auch dass ich Musik mache – ob wir ne CD haben? „Bring doch mal mit“! 

Ein paar Wochen später – wieder ein Donnerstag, alles wie immer, doch der DJ winkt mich ran: „Gefällt mir, spiele ich nachher mal was von, Nummer Sechs?“
Und dann die ersten Töne, das sind wir. „Lie to me“ – ein Song über Wunden und Wut, mein Herz schlägt schneller, es gehen mehr Leute auf die Tanzfläche, ich nicht. Hinter einem Pfeiler stehe ich – meine Stimme auf der Tanzfläche, ich scanne jedes Detail. Jeder Moment ist einmalig in seiner Zusammensetzung aus Tatsachen, Gefühlen, Projektion und Besetzung. Nichts wird sich je wiederholen. Ich schließe meine Augen und nehme ihn mir, diesen Moment, ich betaste ihn, ich präge ihn mir ein – und verwahre ihn an einem sicheren Ort.

Zwei Jahre später renne ich in meinen Doc Martens weg – vom Dasein als kaufmännische Auszubildende, hin zur Uni Hamburg. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt, das Ding ist abgeschlossen, nicht glänzend, aber ich habe jetzt einen Beruf. 
Ich habe jetzt also einen Beruf, den ich nicht mag und der mir das Gefühl gibt, zu altern bevor ich alt werde und beschließe: das kann es nicht gewesen sein. Also lasse ich den Wunsch meines Vaters platzen, lehne eine begehrte Übernahme dankend ab und studiere Journalistik, Germanistik und systemische Musikwissenschaften. 

Für Journalistik brauche ich ein Praktikum. Radio ist genau mein Ding, Delta Radio zu dem Zeitpunkt vor allem, ich gehe mit Kollegen auf Konzerte, lerne Interviews zu führen, Beiträge zu verfassen, zu schneiden, zu moderieren, treffe bei einer Pressekonferenz George Clooney und Greg Graffin, der Sänger von Bad Religion, hält mir eines Tages lächelnd die Tür auf, als ich Feierabend mache, wieder so ein Moment. 

Das Schönste aber sind die Feierabende mit Kollegen, exklusive Konzerte, Nächte an Bartresen, gute Gespräche, diese ganzen Monate – eine Zeit, in der ich mir, anderen und dem Leben sehr nahe komme, Leichtigkeit und Freude in so Vielem finde. 

Und dann sitze ich im Auto, donnere mein Radio in die Halterung, schlage mit der Handfläche hinterher, bis der Kontakt sitzt. Mein Kollege moderiert eine Sendung für Newcomerbands ohne Plattenvertrag – „Und als nächstes hört Ihr eine Hamburger Rock-Band, Novocane …“ Ich fahre nicht los, ich drehe lauter und lehne mich an die Kopfstütze. 

Ich wünsche mir in dem Moment, das Leben könnte so weitergehen – indem ich Orte finde, an denen ich mich richtig fühle, Menschen, mit denen ich ich sein kann, mit Augenblicken, die für die Ewigkeit sind. Dann drehe ich den Zündschlüssel. Probe fängt in einer Stunde an.

Übung für die Gruppe – Kreatives, biografisches Schreiben

Aaaah, wie schön!! So viele neue Gesichter in den letzten Wochen im Soulwriters-Club – und ich habe festgestellt, dass es kein, aber auch gar kein richtiges „Über mich“ irgendwo gibt. Ihr wisst ja gar nicht, mit wem Ihr es hier zu tun habt! 😎👽🦄

Ich packe in den nächsten Wochen mal was in die Highlights auf Instagram, so einen astreinen Werdegang für alle, die es interessiert – heute hab ich mehr Lust auf ein „Über mich“ gekoppelt mit einem Ratespiel und einem Tipp zum kreativen, biografischen Schreiben in einer Gruppe – also – haste Bock? 
Dann rate mit: Nachfolgend findest Du 7 Informationen über mich und mein Leben. 6 stimmen, eine nicht. 
👉🏼👉🏼Was glaubst Du – welche Info über mich stimmt nicht? (Freunde, Familie, anderweitig Informierte – natürlich nicht mittippen) 
Dein Tipp – bitte JETZT ab in die Kommentare! 

Und wenn Du möchtest – mach mit!! Entweder auch direkt in die Kommentare schreiben – oder schreib einen eigenen Post mit ein paar Infos und einer Lüge über Dich – mit dem Hashtag #unglaublichaberwasbloß

Ich rate auf jeden Fall bei jeder/m mit!
✍🏼❤️😃

  1. Vor zwanzig Jahren tanze ich mit Karl Dall in einem kleinen Club auf der Reeperbahn Polonaise.
  2. Ich finde es grauenhaft, mit ungleichem Besteck zu essen. Wenn ich einen runden, schweren Messergriff und eine Gabel mit eckigem Griff und leichtem Gewicht in den Händen habe, versuche ich, Besteck zu tauschen.
  3. Mit 14 hatte ich mal eine Würgeschlange um meine Schultern – im Terrarium bei Rüdiger Nehberg zu Hause.
  4. Mein Hochzeitskleid im Dezember 2017 war knallrot. In unsere Ringe ist jeweils ein Auszug aus einem Muff-Potter-Song graviert.
  5. Ein Song von der ersten und einzigen CD, die ich mit meiner früheren Band Novocane aufgenommen habe, wurde sowohl im Radio (Delta Radio) als auch im Kaiserkeller (Club, Große Freiheit/Hamburg Reeperbahn) gespielt.
  6. Das großflächige Tattoo auf meinem Rücken hat 6 Stunden gedauert. Im Zentrum ist ein Kolibri, der Optimismus und Leichtigkeit symbolisiert – etwas, was ich immer in (und an) mir tragen möchte.
  7. Seit meinem 5. Lebensjahr habe ich von meinen Eltern keine Geburtstagskarte mehr an „Julia“ adressiert bekommen, stattdessen heiße ich familiär seit 43 Jahren „Emma“. Schon als Kind war ich ein großer Fan von smarten, starken Frauen – Emma Peel war mein Idol – und ich rannte auf kurzen Beinen herum und rief: „ICH bin Emma Peel!!“

Tipp zum kreativen, biografischen Schreiben in der Gruppe:

Jeder macht so eine Auflistung mit sechs (oder mehr/weniger) richtigen und einer falschen Info. Der/die Erste liest laut vor und die anderen geben ihren Tipp ab. Dann wird aufgelöst.
Die/der Nächste macht weiter.
Anschließend schreibt jede/r über einen der wahren Punkte einen kurzen biografischen Text über den Hintergrund dieser Info in der Ich-Form und im Präsenz.

Foto: @mayameiners.fotografie

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Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und zwei Wochen wie Watte mit Wumms, wie Eiswürfel und Chilischoten lutschen im Wechsel. Mein lieber Scholli, was war das denn?

Eben noch lauschig unter Lichterketten und Lampions, dann auf dem Affenfelsen sitzend bei Freunden, mit kühlen Getränken und Grillpizza essend, im nächsten Moment mit einem Bein wie aus Jurassic Park in die Notfallpraxis stampfend und einem Horrorfilm im Kopf, der eher was von „Dr. Frank – nicht drehbare Szenen“ hat. 
Nicht die 16 Stiche hübsch verteilt seien das Problem, erklärt mir die sehr schnell sprechende und agierende Ärztin. Nee, auch keine allergische Reaktion sei das und schaut auf das hochflammende Rot an meinem Unterschenkel. Bakterien haben es sich in meinem Blutkreislauf gemütlich gemacht. 
Die gute Nachricht: Erstmal nur im Bein. Die schlechte: Da bleiben die nicht freiwillig. Also rein mit der Chemie, Füße hoch, Ruhe. Bitte was? „Aber es wartet eine wunderschöne Kreissäge auf mich!“, möchte ich ihr entgegenrufen. Und zwei Konzerte und eine tolle Party – geht das zusammen? Geht es nicht, erklärt sie mir ungerührt. 
Statt Oberfräse und Meißel, Tanz und Bier gibt’s Fernbedienung und Antibiotika, Galgenhumor und Schlaf. Nach zwei Tagen humple ich trotzdem los, ich habe einen Auftrag. Die Black Keys mussten ohne mich auftreten, aber diese Kommode, die will ich bauen, verdammt nochmal! 
Entscheidungen zu treffen kann so anstrengend sein, wie knietief durch Sand zu schlurfen, aber auf die Partybarkasse der @businessmomsnet schaffe ich es einfach nicht. 
Diese Vernunft, die mich in den Partynächten mit Mitte Zwanzig noch selbst beschwipst anzwinkerte und mir ins Ohr hauchte: „Ach komm, scheiß drauf! Bist nur einmal jung!“, sie ist auch älter geworden und hat ihren Job endlich übernommen: „Ey, das geht so nicht mehr. Du musst Dich erholen. Dein Bein sieht immer noch übel aus.“ Jaja. Und dann sitze ich Freitag im MOJA mit einer duftenden Kommode, die hellen Holzstaub hinterlässt – und denke mir: Krass, diese Pläne – können die sich mit dem Leben mal besser absprechen?

Biografisches Schreiben – „Nur mal probieren!“

Regen prasselt gegen die Fensterscheibe hinter mir, ich sitze am weißen Küchentisch, meine Mutter steht am Herd. In der Pfanne wendet sie dicke braune Würste, so groß wie Auberginen. Um die Herdplatte herum ist alles gesprenkelt von kleinen Fettpunkten, der Dunstabzug röhrt auf Stufe Drei durch die Mittagsruhe. Die Ärmel meines Sweatshirts schiebe ich hoch, meinen Rock habe ich ausgezogen, ich sitze nur in meiner roten Strumpfhose auf dem kühlen Küchenstuhl, vor mir kleine Dampfwolken, die aus dem gelben Kartoffelpüree in die Luft steigen. „Nur mal probieren“ ist die Devise. Ich erinnere, wie das schmeckt. Aber nur wenn ich „wenigstens mal probiere“, gibt es die anderen Würstchen. Welcher Erwachsene hat sich den Quatsch bloß ausgedacht? An seine Kindheit kann sich der sicher nicht erinnern.

Meine Mutter kommt mit der ganzen Pfanne an den Tisch, es blubbert und brutzelt, plötzlich ein stechender Schmerz, ich schaue auf meinen Oberschenkel und ein dunkelroter Fleck breitet sich auf meinem Bein aus, Fett auf meiner Strumpfhose.

Da liegt sie vor mir. Schwarz, prall, der Geruch etwas säuerlich, würzig, ich schaue meine Mutter fragend an, sie sagt: „Na los, einmal aufschneiden!“ 

Ich seufze, setze das Messer an, die weiche Haut gibt etwas nach, die Spannung kann ich bis in den Messergriff spüren. Etwas fester drücke ich, dann schließlich ein leises Ploppen und durch ein Loch in der Haut quillt die schwarze, krümelige Masse heraus. Ab und zu dazwischen ein größerer Brocken, der schrumpelig aussieht – Rosinen. Tief atme ich ein, schneide das Loch etwas größer und lasse die Welle herausbröseln auf meinen Teller. Soviel wie nötig schiebe ich auf meine Gabel – es gibt laut der Erwachsenen ja eine bestimmte Menge, ab der es erst als wirkliches Probieren gilt. Also diese Menge liegt nun da, bereit zum Testen, ich rieche das Säuerliche und Würzige noch deutlicher, schließe die Augen und lenke die Gabel in den Mund. Von innen versuche ich meine Nase zu verschließen, das Riechen einzustellen, dann wird auch das Schmecken weniger. Doch die schwarze Masse ist penetrant, die Krümel schieben sich in jede Zahnlücke, kleben an meinen Wangeninnenseiten, ich öffne meine Augen wieder und spüre, wie sie anfangen zu tränen. Ich möchte schlucken, mein Hals will das Gegenteil, ich versuche meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen, um zu signalisieren „Ja, oh ja – das habe ich jetzt aber probiert, ich schmecke ganz genau…“, dann greife ich zum Glas und spüle die krümelige Pampe mit Wasser herunter. Eine Rosine rutscht an meinen Backenzähnen vorbei, ich fühle, wie sich die Haare auf meinen Unterarmen aufstellen. Nach dem zweiten Schluck Wasser schüttele ich mich und schiebe schnell Kartoffelbrei hinterher. Geschafft. Wieder ein Jahr Ruhe. Ich hasse Grützwurst bis heute.

Schreibaufgabe für Dich:

Denke an ein Essen aus Deiner Kindheit, welches Du besonders ekelhaft oder besonders köstlich fandest.
Beschreibe die Szenerie und den Moment des Essen, Deine Gefühle und Gedanken dabei mit allen Sinnen!

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Wo ich sein kann

Soulwriters-Club

Ein Text von mir aus einem Schreibseminar, an dem ich 2021 teilgenommen habe. Assoziatives Schreiben – es wurden Worte über die Anreise, die Wahrnehmung, das Ankommen, das Zusammenfügen.

Kommt gut ins Wochenende! ❤️

🖋Wo ich sein kann🖋

Da draußen zerfließe ich in tausend Teile 
Ich atme schneller 
Meine Beine laufen zügig 
Alles habe ich im Blick 
Ach, könnte der Tag doch tausend Stunden haben 
Und ich renne und renne – und meine Gedanken springen auseinander 
Sie rücken in Ecken 
Drängeln sich vorwitzig in meinem Kopf 
Jeder meint, er sei der Wichtigere 
Laut sind sie 
Sie drücken und zwicken, sie zischeln und ermahnen: 
Denk an MICH 
Und dann die Tür, der Raum. Diese Stunden nur für mich 
Ich füge mich zusammen 
Es wird ganz still in mir 
Nur noch eine Stimme, ruhig und klar 
Ein Gefühl wie ein Vakuum aus Warten 
Aus Nervenzellen, die langsam glatt werden und Luft holen 
Ich darf. Ich muss nicht 
Ich trage das Schönste in mir 
Worte sind Freunde, die ich immer um mich haben kann 
Eine natürliche Bewegung, die ihnen innewohnt 
Sie streicheln und trösten, sie wühlen auf und fordern heraus 
Und ich – bin nicht mehr tausend Teile 
Ich lasse Lärm vor der Tür, und das hektische Rauschen 
Und das Müssen
Meine Zeit, mein Leben, mein Weg 
Ich bin wieder hier
Da, wo ich sein kann

– Julia Schröder-Göritz – 

Entschreibe Dich!

„Ja, Authentizität ist heute das A und O. Die Superkraft. Also: Sei ganz authentisch, sei Du selbst. Aber bitte nicht zu sehr. Nur so, dass es für die anderen angenehm bleibt. Pflegeleicht. Bitte nur gute Gefühle. Sei nicht so laut, sei nicht so empfindlich, und Himmel, Arsch und Zwirn – sei doch bitte etwas diplomatisch.“ 

Das alles hast Du so verinnerlicht, dass Du Dich selbst gar nicht mehr so richtig greifen kannst? Dass Du Dich für Deine anstrengende, fordernde Art schon im Voraus entschuldigst? Und wenn jemand auf Dich reagiert, suchst Du den Fehler erstmal bei Dir, Deine Glaubenssätze ballern Dir ständig ins Broca-Areal Deines Gehirns: „Ich bin ja auch etwas kompliziert. Ich war schon immer eher schwierig.“  Mein Vorschlag: Entschreibe Dich. Leg Dich frei, schieb den ganzen Mist mit einem schwungvollen Tintenstrich zur Seite und komm zu Dir selbst, fühl hin, nimm Kontakt zu dem Menschen auf, der Du wirklich bist. Und zeig Dich mit allem, was dazugehört!

Foto: Lisa.Fotios (Instagram-Account), Foto von Pixels.