Über mich – Auflösung 3

Über mich

Mein Herz klopft so laut, die Schlangen müssten wach davon werden. Wir stehen in einem Kellerraum, Boden und Wände sind gekachelt, einige dicke Äste sind verteilt, meine Augen suchen … und finden. „Eine schläft, und da, sie ist wach!“ Rüdiger Nehberg zeigt auf eine riesige Schlange links auf dem Boden. „Die sind eigentlich harmlos, Du darfst nur nicht zulassen, dass sie Dich umwickeln. Wenn sie Dich hat, dann zieht sie sich jedes Mal, wenn Du ausatmest, enger, bis Du keine Luft mehr bekommst. Der Trick ist, sie dann vom Schwanz her abzuwickeln, wir haben das ausprobiert.“ Mit offenen Mündern schauen wir ihn an, dann die Schlange … 

„Möchtest Du?“, er schaut mich aufmunternd an. 

„Was?“, frage ich. 

„Sie einmal um die Schultern nehmen?“

Ich schlucke. Ich mag Schlangen. Aber ich hatte noch nie so eine große direkt vor mir. Dann spüre ich, wie ich nicke, meine Neugier ist größer als alles andere. Noch ein paar Instruktionen bekomme ich, dann fühle ich das Gewicht des Tieres auf meinen Schultern, meinem Nacken, meinen Armen, sie bewegt sich, ich halte sie und taste vorsichtig mit meinen Fingern über ihre Haut. Rauh, trocken, schön. Einen Augenblick noch. Dann wird sie schwer und Rüdiger Nehberg nimmt sie mir wieder von den Schultern. „Gut gemacht“, lächelt er. Mit unserem Interview im Gepäck bedanken wir uns bei ihm, wir haben eine Menge Material für ein richtig gutes Referat – es wird Zeit, den anderen in unserer 8. Klasse von der Bedrohung der Yanomami-Indianer zu erzählen.

Anmerkung: Rüdiger Nehberg starb im April 2020. Er war ein Menschenrechtler, ein Aktivist, der sein Leben dem Einsatz gegen Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeiten verschrieb. Bekannt wurde er für seine spektakulären Aktionen, 1982 machte er sich das erste Mal auf den Weg zu den Yanomami, dem größten, recht isoliert lebenden indigenen Volk Südamerikas, welches durch Goldsucher in ihrer Existenz bedroht wird. In den Achtzigern drangen über 40 000 Goldsucher in ihren Lebensraum ein, töteten, schleppten Krankheiten ein, zerstörten Dörfer. In nur sieben Jahren starben etwas 20 Prozent der Yanonami. 

Im Jahr 2000 engagierte Rüdiger Nehberg sich für ein weiteres Thema: Genitalverstümmelung bei Frauen. Er und seine Ehefrau gründeten Target e.V. Täglich werden 8000 Mädchen und Frauen verstümmelt – Nehbergs Verein kämpft nach wie vor dagegen: https://www.target-nehberg.de/de

Wir hatten damals den Auftrag, ein Schulreferat zu verfassen und stießen auf Rüdiger Nehberg und seinen Kampf für die Rechte der Yanomami-Indianer. Wir durften zu ihm nach Hause kommen, um ihn zu interviewen. Ich erlebte ihn als unglaublich netten, humorvollen, gastfreundlichen Menschen, der uns Schülerinnen diese tolle Möglichkeit gab und uns seine Zeit und einen Einblick in seine Arbeit schenkte.
Ein Jahrzehnt nach diesem Interview sah ich Rüdiger Nehberg noch einmal bei einem Vortrag an der Universität Hamburg. Noch nie habe ich einen Menschen erlebt, der so sehr für das brennt, was er tut, der mit so einer Überzeugung, Leidenschaft und Engagement erzählt und sich einsetzt. Medien berichteten häufig von ihm als „Der muss verrückt sein“, weil er ungewöhnliche Dinge tat (siehe Interview unten). Meiner persönlichen Meinung nach wäre die Welt ein besserer Ort, wenn es mehr Menschen wie ihn gäbe.

Ein interessantes Interview gibt es hier zu lesen:

https://www.spiegel.de/geschichte/ruediger-nehberg-wird-80-ich-habe-es-immer-mit-dem-teufel-gehalten-a-1031228.html

Über mich – Auflösung 2

Über mich

Gefühlt bin ich erst seit gestern wieder Single nach einer neunjährigen Ehe. Ich weiß nicht, wie das geht – daten. Und eigentlich habe ich auch keinen Bock darauf. Doch per Zufall sind wir uns nun über den Weg gelaufen. Nach 23 Jahren.

Auf dieselbe Schule sind wir gegangen, wir fanden uns damals gut – Du Punk, ich Rock, doch zueinander gefunden haben wir nie. 23 Jahre haben wir uns nicht gesehen, und nun steigst Du aus dem Taxi vor Deiner Haustür und ich, wie gesagt – keine Lust auf den Datingtanz beschließe die Flucht nach vorn: 

„Und was ist jetzt? Ich hab keine Lust, auf einen Anruf zu hoffen oder selber Nachrichten zu schreiben, die vielleicht nicht beantwortet werden. Also – wie geht’s weiter, was meinst Du, ganz ehrlich?“ 

Du lachst, schaust mich an und sagst:

„Jetzt? Jetzt heiraten wir!“

Ich lache lauter und denke: „Ich heirate kein zweites Mal. Niemals.“

Fast drei Jahre später stehen wir vorm Standesamt, ich in einem feuerroten Kleid und schwarzen Nägeln, Du im dunklen Anzug mit Totenkopf-Krawatte. Schick sehen wir aus. Unsere Familie und unsere Freunde – alle sind da. Wir tauschen Ringe, in die eine Zeile aus einem Muff-Potter-Song graviert ist. Ein Song, den Du mir ganz am Anfang, im Frühjahr 2015, schicktest: „Das ist jetzt und das ist hier. Und das sind wir.“