Geburtstags-Gedankenkiosk

Lieber hören statt lesen? Aber gern:


Meine Falten sind heute zum Flashmob verabredet – denn es ist Showtime, Baby! Und Countdown. Und ein bisschen Schwips und Schwuppdiwupp – und dann bin ich schon fast 50. Aber Gemach, Gemach, heute erst einmal 49. Neun-und-vierzig. Mindestens fünf  Gedanken mehr hüpfen in meinem durchtrainierten Hirn auf und ab.

Beginnen wir doch mit der Kategorie „Diese Fragen kann ich mir sparen“ – zum Geburtstag:

„Uuund? Wie fühlt man sich mit 49?“ 

Äh, was? Naja. Warte mal. Wie eine Schnecke auf LSD. Eine Ameise mit Handgepäck. Ein Maulwurf mit Gleitsichtbrille. Ok, Schluss. Was wäre eine gute Antwort? Wie mit 48? Ach, weißt Du was? Es kommt drauf an. Vor allem darauf, wer fragt. 

„Hast Du Wünsche für Dein neues Lebensjahr?“

Wieviel Zeit hast Du? Ich wünsche mir nämlich ganz viel. Immer noch. Jedes Jahr wieder. Nicht so amazon-Wunschlisten-viel, aber ich-möchte-mit-dem-Bus-in-den-Süden-fahren-viel. Und ich möchte mal Polarlichter sehen. 
Und noch einmal so eine ganze Wiese mit Glühwürmchen, das war schön, das hält das poetische Herz noch hundert Mal aus. 
Ich möchte meine Bücher endlich zu Ende schreiben, und mehr lesen, mit unserem Hund Lucky über etliche Wiesen rennen, auf den coolsten Konzerten mit meinem Mann die Arme in die Luft reißen. 
Ich möchte unserer Tochter tausend Mal beim Gitarrespielen zuhören, bevor eine andere Familie in den USA nächstes Jahr das große Glück haben wird, sie in ihrem Kreis für 10 Monate Willkommen zu heißen. 
Noch hunderte Mal möchte ich rufen „Hab einen schönen Tag, Großer!“, wenn unser Sohn aus dem Haus geht, bevor er nächsten Sommer das Haus verlässt, denn 2025 – DAS wir ein Jahr. „Ohauaha“, wie wir in Hamburch sagen. Das Jahr, in dem der Zauberwürfel des Lebens noch einmal seine Farben verändert und mir kommen die Tränen vor Herzschmerz und Vorfreude gleichzeitig, wenn ich daran denke. 

Denn die Liste der Veränderungen und die Liste der Pläne sind ebenso lang wie die der Wünsche, denn hey – es ist gerade mal Halbzeit. Da geht noch so einiges. Und irgendwie werden die Zimmer zwar leer sein, aber die Räume deshalb nicht – unsere Kinder werden größer und wir gehen ein paar Stücke des Weges gemeinsam, von anderen lassen wir uns erzählen und gestalten unsere eigenen. Und dann kommen neue Zimmer und neue Umgebungen und Menschen dazu –  und das Leben hält viel bereit, wenn man nur mal aufs Dach klettert und in die Ferne schaut, anstatt am Boden Pflastersteine zu zählen.

Immer wieder lese ich davon, was die guten Seiten des Älterwerdens ausmacht – von dieser Lässigkeit, dieser inneren Ruhe – und ja, in Teilen stimme ich zu. Schulterzucken ist ab 40 zur fast täglichen Fitnessübung geworden, ein bisschen was von „Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen“ gepaart mit „Wenn Du ein Problem mit mir hast, kannst Du es behalten. Ist ja Deins.“ Und was ich vielleicht mit 20 eher trotzig behauptete, kann ich heute mit entspannter innerer Überzeugung sagen: 

Ich muss nicht alles machen, was ich kann. 

Perfektion hat etwas mit Mangelfokus zu tun.

Ich kenne wirklich tolle, wunderbare Menschen und bin sehr dankbar für jede und jeden.

Ich habe meine Senk-, Spreiz- und Plattfüße inzwischen verstanden: „Verdammt nochmal, lass das mit den hohen Hacken!!“

Fehler zu machen ist menschlich. 

Es kann mich nicht jede/r mögen. Ich mag auch nicht jede/n.

Aber fast jede Frau hat Cellulite.

Mich zu entschuldigen, wenn ich was verbockt habe, ist Ehrensache.

Für mich einzustehen ebenfalls.

Ich weiß, was ich kann. Und was nicht. 

Es ist wundervoll, dass mein Ehemann auch mein bester Freund ist. 

Echte Verbindungen sind mir wichtig.

Schubladen gehören in Kommoden, nicht in Köpfe.

Ambivalenzen auszuhalten ist wichtig gegen diese Enge in manchen Weltansichten.

Menschen, die mir nicht guttun, lasse ich gehen. 

Ich entschuldige mich nicht mehr für meine laute Lache.

Niemals für meine Tränen.

Und auch nicht dafür, dass ich Jon Bon Jovi am tollsten mit langen, zotteligen Haaren und Leoleggings fand.

Es gibt zwei Sorten Angst: Die lebenserhaltende. Und die lebensverhindernde. 

Humor, Haltung und Intelligenz sind der geistige Waschbrettbauch.

Grämen und Grollen – beides Zeitverschwendung. Hadern erst recht.

Nein, ich muss mir kein dickeres Fell zulegen. Meine dünnes passt mir sehr gut.

Wenn was Blödes passiert: Aufstehen, Knie abklopfen, neu ausrichten. Denn: Was wäre die Alternative?

Und dann gibt es da natürlich die Seite, die manchmal denkt: „WIESO wird das nicht leichter mit fast 50? Warum kratzt mich das/beschäftigt mich das/arbeite ich mich daran immer noch ab?“ Und während ich in Online-Formularen die Geburtsjahreszahl ewig lang scrollen muss, bin ich für kurze Momente wieder 20 und auf einer Party die Einzige in Bikerboots und Jeansweste während die Coolen mit Traininsjacken und Sambas oder im schicken Overall und Pumps herumlaufen – auch solche Tage gibt es noch ab und an mal. 

Und dann kommt mit fast 50 natürlich das ein oder andere Ziehen und Zwicken   – und in der Schulter ziept es dann auch vom ganzen Schulterzucken. ABER: Schampusglas halten geht immer – also hoch damit:

  • Einen Toast auf meinen wunderbaren Mann, meine großartigen Kinder, meine Familie und meine Freunde!
  • einen Toast auf die Jugend! Denn ich begegne so vielen jungen Frauen zwischen Anfang 20 und Ende 30, die ich einfach großartig finde und die sich von patriarchalen Strukturen freimachen und sich erlauben, sie selbst zu sein
  • und einen Toast auf die Männer, die das nicht nur unterstützen, die das ‚mitgehen‘, sondern die gelebte Gleichberechtigung selbstverständlich finden
  • und natürlich einen ganz besonders lauten Toast und ein randvolles, sprudeliges Glas auf all die fabelhaften Frauen über 40! Ihr seid die Geilsten! Cheers, Ladies!

Gedankenkiosk

Gedankenkiosk - Kolumne

Keine Zeit zum Lesen? Hier der Gedankenkiosk zum Hören:

Gedankenkiosk – der Blogcast!

Kein Vizefreitag aber Fülle im Kopf und im Herzen. Tage wie die schönsten Töne und die buntesten Farben, wie das Harken von Sand in kleiner Schale, wie Katzenfell und weiche Hundeohren. Menschen auf Bühnen, singend und sprechend, und immer wieder dieser eine Gedanke: Was wäre das Leben ohne Kunst und Kultur? Fad. Auf die letzten Jahre zurückgeschaut und wieder einmal flatterte der Begriff „Systemrelevant“ im Gedankenkiosk vorbei. Künstler, die selber zusehen mussten, wie sie klarkommen – und falls mit Hilfen unterstützt,  diese finanzielle Unterstützung bis heute in Raten wieder abstottern. 

Leben wir wirklich noch immer in einer Gesellschaft, in der Malen, Singen und Co als „Nice to have“ in die Kopftätschelschublade sortiert wird? Mir ist der Unterschied einer medizinischen Behandlung und eine Konzertes natürlich bewusst, aber für meinen Geschmack denken wir viel zu einseitig, in viel zu starren Rastern. Was nicht wissenschaftlich bewiesen ist, hat keine Gültigkeit. What the F..k? Sollten wir uns statt dieser Arroganz nicht lieber an Sokrates halten und eingestehen „Ich weiß, dass ich nichts weiß“? Ich bin mir sicher: Bevor Pythagoras und Platon der Erde die Kugelform verpassten, meinten die Menschen auch zu 100%ger Sicherheit, dass die Erde eine Scheibe ist und Punkt. „Öhm, naja – hör mal –  ist doch nix anderes wissenschaftlich bewiesen!“ 

Aber ich schweife ab – worum es mir geht: Es gibt mehr Dinge, die für die Seele und die körperliche Gesundheit eines Menschen ebenso wichtig sind, wie Spurenelemente und Ausdauersport. 

Unsere Gefühle sind in meinen Augen ein zentraler Punkt für unser Wohl- und Missempfinden – und keinen Kontakt zu ihnen zu haben, kann krank machen. Und beraubt uns einer wichtigen Eigenschaft: Mitgefühl. Und nun kommt’s: Kunst in jeglicher Form bringt uns mit uns in Kontakt! Sie erzeugt Gefühle, holt sie hervor, konfrontiert uns mit ihnen. 

Die letzten zwei Wochenenden waren voll mit Aktivitäten – und voller Gefühle, und ich fühle mich heute energiegeladen und in Kontakt mit mir, obwohl ich mitten im Umzug stecke. Da war Freude über den Mut und die Kreativität von Künstlern am Freitag bei einem Singer Slam, Faszination und Demut am Samstag im Planetarium, Sonntag Spannung und Spaß im Escape-Room. Am nächsten Freitag wieder ein Gefühl von „Erfüllt sein“ beim Konzert von Jan Plewka und Marco Schmedtje im Nochtspeicher, am Samstag Zuneigung, Neugierde und Freude bei guten Freunden und guten Gesprächen, und gestern dann Trauer und Begeisterung gleichzeitig im Theater. 

Wenn ich das so lese müsste ich fix und fertig sein – eine Gefühlsparty, eine Emotionenflashmob. Aber – es tut gut. Und ich bin dankbar, denn Kunst und Kultur machen das mit mir. Heute denke ich einmal wieder über die Endlichkeit des Lebens nach, über die wunderbare Gefühlsduselei, die ich mir nicht nur erlaube, sondern die ein Teil von mir ist, meine Tränen im Theater, da ich „Dienstags bei Morrie“ vor 27 Jahren gelesen habe, aber nicht wieder, seit ich einen geliebten Menschen vor zehn Jahren beim Sterben erlebt habe. Das Stück hat mich noch einmal anders berührt, Trauer hervorgeholt und andere Fragen gestellt. Und auch wenn ich mich nicht gern in bereits gelebtem Schmerz aufhalte, klingt es positiv nach. Und ich bleibe dabei: Gefühle sind unser höchstes Gut. Lasst sie zu, pflegt sie, macht ihnen Platz, äußert sie, teilt sie, nehmt sie ernst, nehmt sich wahr, beschäftigt Euch mit ihnen und setzt Euch mit ihnen auseinander. Sie machen uns menschlich. Und das kann nur Gutes hervorbringen.

Kolumne – Gedankenkiosk

No Vizefreitag, aber einer früher. Passt heute, also wird das so gemacht. Tage wie zweiter Gang und Gas für den fünften, wie Karibik mit warmem Zimtkakao.

Frage mich immer wieder, wieso ich auf Facebook nur noch bekloppte „Vorschläge für dich“ bekomme – nur noch GlamspamOmasApothekenRezepte-Seiten, die irgendeinen Müll posten – beruht das auf meinem Leseverhalten? Also auf nix? Ich lese ja nix mehr, ich klicke nur noch weg. Und dann scrolle ich mich weiter durch die krude Mischung aus Pilszsammelwanderungen und Werbung für ein Michael-Jackson-Musical und kann mich gar nicht entscheiden, worauf ich mehr Bock habe.

Manchmal ist mir die virtuelle Welt fremder als der neue Postbote, der gefühlt nie bei mir hält, sich aber bestimmt genauso oft wie ich immer noch fragt, warum zum Kuckuck die Hausnummer 4 zweimal existiert. Smileys und Bok haben das inzwischen gebucht – das Essen bleibt also warm und an meine Briefe gelange ich früher oder später immer. 

Zurück zum WWW. Dieses Miteinander oder vielmehr Gegeneinander, was ich häufig in den Kommentaren wahrnehme – Menschen, die sich gegenseitig beleidigen, die klugscheißern, dass man ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln bekommen könnte, die – anstatt einfach weiterzuscrollen – die Anonymität des Internets nutzen, um ihr hässliches Inneres zu zeigen, alles ungefiltert rauskloppen, was ihnen gerade durch die Nervenbahnen zuckt – war das früher schon so? 

Waren wir einfach weniger im Netz und kam es mir deshalb noch nicht so inflationär vor mit dieser Kommentarinkontinenz? 

Gerade habe ich ein bisschen in meinem alten Blog gestöbert – November 2005 ging der erste Text von mir online. Ein Blog – ey, das war sowas von NEU, das war sowas von OhYeah,-wir-sind-die-Ersten, also man traf sich nach einer Weile des Schreibens in einer gemütlichen Runde im Internet, kaum zu glauben. Schön war das – immer dieselben Nasen, irgendwie kannte man sich gar nicht und dennoch… Freundliche, frotzelige, intelligente Kommentare mal hier oder da, ich kann mich an keine einzige Löschung erinnern. Ich habe ein bisschen Sehnsucht nach diesem Ort. 

Gestern erzählte mir eine Klientin, die Mitte Zwanzig ist, dass sie Sorge habe, dass mit Anfang 40 der Spaß vorbei sei, da ihr jemand in diesem Alter auf einer Feier wehmütig aus seinen Zwanzigern berichtete. Ob das wohl so sei, wenn man älter wird, ob man dann der Jugend hinterhertrauere? 

Kann sein, dass es manchen Menschen so geht. Kann aber auch sein, dass es eher ein Gefühl ist, welches sie vermissen. Ein Gefühl für sich und die Welt um sie herum, dass ihnen in ihrem gegenwärtigen Leben etwas fehlt, was damals da war – Flexibilität, Freiheit, Leidenschaft, Verbundenheit … oder irgendetwas anderes?
Es gilt, genau hinzuschauen, ob wir wirklich eine Alterszahl vermissen oder ob uns ein Zustand abhandengekommen ist, der sich damals gut angefühlt hat.

Ich für meinen Teil erhöhe gerade wieder aktiv die Anzahl meiner Live-Begegnungen mit echt guten Menschen. Positive Energie, die sich gegenseitig beflügelt, Einblicke in Gedanken, Austausch und Kontakt. 

Und vielleicht auch einfach wieder mehr Blog anstatt Insta und Facebook.

Wenn Du Lust hast, ein bisschen was aus „2005 plus“ zu lesen, dann klick doch mal hier:

www.dieschroederei.com

Wonach hast du manchmal Sehnsucht?

Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und zwei Wochen wie Watte mit Wumms, wie Eiswürfel und Chilischoten lutschen im Wechsel. Mein lieber Scholli, was war das denn?

Eben noch lauschig unter Lichterketten und Lampions, dann auf dem Affenfelsen sitzend bei Freunden, mit kühlen Getränken und Grillpizza essend, im nächsten Moment mit einem Bein wie aus Jurassic Park in die Notfallpraxis stampfend und einem Horrorfilm im Kopf, der eher was von „Dr. Frank – nicht drehbare Szenen“ hat. 
Nicht die 16 Stiche hübsch verteilt seien das Problem, erklärt mir die sehr schnell sprechende und agierende Ärztin. Nee, auch keine allergische Reaktion sei das und schaut auf das hochflammende Rot an meinem Unterschenkel. Bakterien haben es sich in meinem Blutkreislauf gemütlich gemacht. 
Die gute Nachricht: Erstmal nur im Bein. Die schlechte: Da bleiben die nicht freiwillig. Also rein mit der Chemie, Füße hoch, Ruhe. Bitte was? „Aber es wartet eine wunderschöne Kreissäge auf mich!“, möchte ich ihr entgegenrufen. Und zwei Konzerte und eine tolle Party – geht das zusammen? Geht es nicht, erklärt sie mir ungerührt. 
Statt Oberfräse und Meißel, Tanz und Bier gibt’s Fernbedienung und Antibiotika, Galgenhumor und Schlaf. Nach zwei Tagen humple ich trotzdem los, ich habe einen Auftrag. Die Black Keys mussten ohne mich auftreten, aber diese Kommode, die will ich bauen, verdammt nochmal! 
Entscheidungen zu treffen kann so anstrengend sein, wie knietief durch Sand zu schlurfen, aber auf die Partybarkasse der @businessmomsnet schaffe ich es einfach nicht. 
Diese Vernunft, die mich in den Partynächten mit Mitte Zwanzig noch selbst beschwipst anzwinkerte und mir ins Ohr hauchte: „Ach komm, scheiß drauf! Bist nur einmal jung!“, sie ist auch älter geworden und hat ihren Job endlich übernommen: „Ey, das geht so nicht mehr. Du musst Dich erholen. Dein Bein sieht immer noch übel aus.“ Jaja. Und dann sitze ich Freitag im MOJA mit einer duftenden Kommode, die hellen Holzstaub hinterlässt – und denke mir: Krass, diese Pläne – können die sich mit dem Leben mal besser absprechen?

Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und eine Woche wie drei Tüten Brausepulver auf einmal im Mund. 

Überschäumend vor Glück ist eine Redewendung, mit der ich was anfangen kann. Ein Moment, in dem alles stimmt, alles so gut ist, dass ich am liebsten den Kopf in den Nacken werfen und einfach nur „JAAAA!!“ brüllen möchte. So so gut, dass es fast weh tut. Menschen, die springen, Menschen, die singen, jeder für sich und doch alle im Einklang. Das kann Musik, und ich bin mir sicher: mein Herz ist aus Rock. 
Vor 32 Jahren hat sich etwas in meiner DNA angesiedelt, was mit einem Ton reaktiviert wird, was mit einem Akkord soviele Emotionen auslöst wie bei manchen Menschen die dritte Runde Titanic mit Céline-Geheule.

Ein bisschen klebrig, sehr muffig und dunkel kann manchmal der schönste Ort sein, wenn „Kiffen verboten“ ist, aber viele betrunken, wenn auch ein schlechter DJ der guten Musik nichts anhaben kann. Dann sind wir in Sicherheit, in unserem Element, wo wir lange jung waren und jetzt langsam alt werden. Graue Haare lösen graue Haut ab, wir sehen gesünder aus, aber nicht mehr elastisch. 
Macht nichts, Hauptsache, der Blick auf die Welt bleibt weit, und ein Verständnis davon, was wichtig ist für ein gutes Miteinander. 
Was braucht es zum Leben? Manchmal orangefarbenes Licht unter Oldschool-Markisen, Katzenfell unter den Fingern und das gute Gefühl, dass die falschen Entscheidungen in der Vergangenheit liegen. 

Wovon wir zehren? Von der Weite des Meeres, guter Luft in den Lungen und Frieden mit dem Hier und Jetzt. Ein Geschenk. Ein Ausschnitt. Wenigstens ein paar Minuten am Tag. 
Viva la Zukunft. 

Zitat des Tages: „Ohne Musik wär’ alles nichts“ – Wolfgang Amadeus Mozart 

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Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und Tage wie eine Ikea-Montageanleitung. Der Inhalt der Packung ist deutlich, die Struktur völlig klar. Doch dreht man ein einziges Teil in die falsche Richtung, geht es nicht weiter oder muss demontiert werden – und man beginnt von vorn. 

In der Praxis einige Menschen, die einen Plan für ihr Leben in sich trugen – und aufgrund eines Teils alles auseinandernehmen und von vorn beginnen müssen. Viele Tränen diese Woche, und dann dieser kleine Funke von „Ich weiß, wie das geht – aufstehen“, und die Schwere wird löcherig und lässt etwas durchscheinen, in kleinen Schritten wird es heller. Manchmal reicht die Gewissheit „Das Gefühl wie es jetzt ist, das bleibt nicht so. Es geht vorbei.“

Für den älteren Mann vor meiner Tür geht es nicht vorbei. Mit dem Handfeger Spinnennetze entfernend, die meine Post verhindern wollen, höre eine Stimme hinter mir: „Was ist das hier?“ Viele aus der Nachbarschaft bleiben stehen und fragen. „Ah, eine psychologische Praxis. Der, der meiner Frau die Tabletten verschrieben hat, hat aufgehört – und der andere ist auf was ganz anderes spezialisiert…“ Sechs Jahre leben sie damit, drei Jahre Klinik. 
Wir schauen uns an, ich warte, zuhören bedeutet auch, Stille zuzulassen. Seine Augen schimmern, „Die ganzen Jahre schon, das ist wirklich …“, er dreht abrupt ab und geht mit gesenktem Kopf weiter. Aushalten. Auch darum geht es manchmal. Ein Teil in die falsche Richtung und die innere und äußere Struktur fliegen auseinander.

Die Sonne scheint, Hummeln und Bienen haben in unserem Garten einen HotSpot ausgerufen – der „Place to be“ in Rahlstedt für alles, was summt. Wie die Atmosphäre im Schanzenviertel – Gläserklirren, Lachen, Stimmen – hundert Gespräche in drei Sekunden, meine Augen fliegen, scannen, meine Ohren fühlen sich an wie ein altes Radio, welches nach einem Sender sucht. Wie im Film jetzt einmal auf Stopp drücken können – Freeze. Innehalten, Stille, einmal Überblick verschaffen. Doch keiner macht mit. Sie fügen sich in eine Melodie aus Worten, Tönen und Geräuschen, die leise beginnt, im Vorüberigehen der Stunden anschwillt, über den Rand läuft, bis sie verebbt. Nichts bleibt, wie es ist. Wie beängstigend. Wie gut.

Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und eine Woche wie ein Fisherman’s Friend, den man am Taschenboden findet – kurze Freude, dass er da ist, aber irgendwie auch Bäh. Und dann doch okay, ist ja meine Tasche.

Judith Hermann gelesen und wieder einmal festgestellt, dass es zwar stimmen mag, dass man Schreiben lernen kann – aber dass es dann noch die gibt, die es neben dem guten Handwerk vermögen, Worte aus ihrem Inneren anzutippen, zu pflücken und zusammenfügen, auf eine Weise, dass ich mich dabei ertappe, wie ich beim Lesen seufze vor lauter Schönheit schwarz auf weiß.

Über die Sexyness von Worten nachgedacht. Komedonenquetscher. Ist genauso ätzend, wie es klingt – ein kleines Instrument mit einem schlingenförmigen Ende, zum Mitesser ausdrücken. Keine schöne Sache, kein schönes Wort. Splanchnologie. Nicht nur meine Zunge verkrampft sich – in der Medizin die Lehre von den Eingeweiden. Ja, die hat jeder, muss man sich eigentlich nicht anstellen, trotzdem bekomme ich leichte Gänsehaut wenn ich an Eingeweide denke, zuviel Trash-Horror in den Neunzigern. Was ich damals so abkonnte. Steven King Tag und Nacht. Heute nicht einmal mehr „True Detectives“ nach Acht – ich schlafe dann schlecht.

Es gibt unbequeme Worte wie Krätze, Ratenkauf oder Pappabstrich. Und scheiß Buchstaben-Kombis wie AfD.  In meiner Praxis fielen in einer Sitzung wieder einmal diese: Prinzip und Routine. Erstmal nicht so attraktiv, die beiden. Aber wenn man sich ne Runde zusammensetzt, ein Glas mit ihnen trinkt, lernt man sie von der anderen Seite kennen. Die zwei können sogar cool sein. Vor allem, wenn man dabei ist, sich zu verlieren oder sich zu suchen.

Wir haben einen Kater, dessen Routinen wirklich nicht meine sind – er maunzt seit Tagen um 5 Uhr lautstark in mein Ohr, weil er meint, ich könne doch jetzt schon Frühstück machen. Wahlweise wird das Band des Rollos zwischen die Zähne geklemmt und so daran gezogen, dass es lautstark gegen das Fenster klötert. Hatte ich mal erwähnt, dass ich Katzen eigentlich nicht mag? Bevor einer schreit: Unsere liebe ich natürlich. Ich füttere sie auch.

Kurze Momente mit Menschen, die mit drei Sätzen ein Gefühl von „Wir funken auf derselben Lebensfrequenz“ auslösen – manchmal reichen die kleinen Worte, ein Einblick in die persönliche Gedankenwelt und da ist ein Gefühl von „Wie schön, dass es solche Menschen gibt“.

In Träumen wiederum solchen begegnet, von denen ich hoffe, dass es sie nicht gibt. Und kurz an Nerudas Frage gedacht „Wohin gehen geträumte Dinge?“. In diesem Fall hoffentlich dahin, wo vor lauter Hitze noch nicht einmal mehr Pfeffer wächst. Übrigens ein wunderbares Buch mit wunderbaren Fragen, unbedingt mal reinblättern. Pablo Neruda. Der zwei Jahre bevor ich geboren wurde, starb. Senator der Republik Chile gewesen, ein Schriftsteller und ein Dichter, Träger des Literaturnobelpreises und Kämpfer gegen den Faschismus. Google sagt, es gibt einen Film über Neruda. Mal schauen.

Und dann bleibt da noch die Frage – was mache ich, wenn Hummeln gegen mein Fenster fliegen? Dicke Brummer ploppen in regelmäßigen Abständen vor meinen Augen gegen Glas, Vogelaufkleber kenne ich, aber da stellt sich die Frage, ob die auch bei Hummeln wirken und was mit den Hummeln hier in Hamburg-Hamm eigentlich los ist? Hummelkneipe ums Eck, halluzinogener Blütenstaub oder auf dem Weg von West- nach Osthamburg auf den letzten Metern einfach keine Kraft mehr, nach Navi zu fliegen? Werde diesen Fragen nachgehen.

Tageszitat:

Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge

Arthur Schopenhauer