Von Matjes, Indien und dem unerschütterlichen Glauben an das Leben

Vom Glauben an das Leben

„Keine Kartenzahlung möglich“ Mist, kaum Bargeld dabei. Ich wühle in meiner Tasche, krame 12,50 Euro zusammen und gehe auf den Eingang zu. Ringsherum flaches Land, Felder, neue Straßen, Schilder, die Autos umleiten und Schilder, die sie stoppen. Mitten in der kahlen Landschaft ein großes Haus, unförmig sieht es aus. Gedrungene Mauern, ein Dach wie eine zu tief in die Stirn gezogene Kappe, ein flacher Anbau, der im Verhältnis größer ist als das ganze Haupthaus. Rote Schindeln, ansonsten viel Blau und Weiß, Fischladenfarben. 

„Fischbrötchen in der Umgebung“ an Neujahr zu finden, ist wie auf eine Tankstelle am Rande einer Landstraße zu hoffen. Doch da ist sie – zwischen Baustellenschildern und frischem Teer ragt das Gebäude heraus. 

Ich drücke die kühle Klinke herunter, es bimmelt neben mir, vor mir ein Tresen mit verschiedenen Fischsorten, ein paar Tische mit Stühlen und Bänken, maritime Deko, Fischernetze, Muscheln, links in der Ecke sitzt ein Seemann aus Holz. Hinter dem Tresen eine Frau, ihr Alter ist schwer zu schätzen, um die Fünfzig, tippe ich. Hellbraune Haare, ein bisschen grau an den Seiten, Zopf, Pony. Groß ist sie, bestimmt 1,75 Meter, sie trägt eine weiße Schürze und eine eckige Brille, durch die mich ungeschminkte Augen freundlich anschauen.
„Moin!“ grüße ich sie.
„Moin! Was darf’s sein?“
Ich schaue auf die Fischbrötchen-Preistafel, zwei Matjes und ein Flammlachs mit Pfeffer sind drin. Sie greift in die Theke und verschwindet nach hinten in die Küche. Ich sehe mich um. Rechts von mir ein durch eine Scheibe abgetrenntes Büro. Darin ein Schreibtisch, den man nicht erkennen kann, da er über die Ränder voll ist mit Zetteln und Belegen, Aktenschränke, ein Telefon. Das sieht nach Arbeit aus und nach einem Chaos, das nur eine Person verstehen kann – und das man auf keinen Fall aufräumen darf, weil man sonst nichts wiederfindet. Der Geruch der geräucherten Fische zieht ein bisschen in der Nase. Nicht schlimm, aber so, dass ich mich doch frage, ob gleich meine Haare und meine Klamotten danach riechen werden.

Sie kommt zurück mit einer Tüte voll Fischbrötchen: „Soooo….!“ Mir fällt etwas ein: „Mensch, ich hab Ihnen gar nicht ein Frohes Neues Jahr gewünscht beim Reinkommen, entschuldigen Sie, total verdaddelt.“
Sie lacht nur und antwortet: „Ach Du, macht doch nix, hab ich auch total vergessen. Ich bin heute schon wieder so im Büromodus, das muss ja alles bald fertig sein.“
Das t bei „fertig“ spricht sie wie doppelt D, ich mag das. Ich zahle – und noch einmal werfe ich einen Blick durch die Scheibe auf die Papierberge, sie folgt meinem Blick: „Oha… das sieht nach Arbeit aus!“, ich greife nach der Tüte und gehe ein paar Schritte Richtung Tür.

„Ja, und da das schnell fertig werden muss, dachte ich – wenn ich eh hier bin, dann kann ich auch den Laden aufmachen“, erwidert sie lachend. 

„Naja, ich muss sagen – Glück für uns, aber für Sie, heute zu arbeiten?“, ich taste nach dem Türgriff.

„Das ist ok, bis zum Elften soll das ja erledigt sein, denn dann geht’s in den Urlaub!“ Sie strahlt. Und sie schaut, als würde sie auf eine Frage warten. Die meisten Menschen suchen nach Antworten. Sie wartet auf Fragen. Ihre Einsamkeit steht neben ihr und schaut mich an.

Kurz der Gedanke an meinen Mann und unseren Hund wartend im Auto, aber beide sitzen trocken und warm – und ich beschließe, die Zeit zu verlangsamen. Meine Hand gleitet von der Klinke und ich drehe mich wieder zu ihr: „Oh, wie schön, Urlaub! Fahren Sie weg?“
„Ja!“, ihre Augen leuchten nun eine Nuance heller, bilde ich mir ein, „am 11.1. sitze ich im Flieger!“ 

Wieder ein Warten. Wieder eine Frage: „Wo geht es denn hin?“

Plötzlich senkt sie die Augen, legt den Kopf etwas schief und zieht die Schultern ein klein wenig nach oben, sie antwortet: „Also ich habe mir da mal was richtig Besonderes gegönnt. Ich war seit 2009 nicht mehr im Urlaub.“ 

Ich schaue sie aufmunternd und fragend an.

„Ich fliege nach Südindien“, sie strahlt.

„Wow! Wie toll!“, entfährt es mir. 

Mit einem Mal steht sie wieder gerade und schaut mir direkt in die Augen. Sie geht um den Tresen herum und steht nun vor mir.

„Ich habe neulich auf Netflix so eine Doku geschaut über die Unterkunft, in die ich auch fahre – und da habe ich mich so gefreut, als wäre ich schon dort.“ 

„Ach, das kann ich gut verstehen, wie schön für Sie, das wird bestimmt ganz großartig!“, antworte ich. 

Sie erzählt weiter: „Weißt Du, mein Mann hat mich 2019 wegen einer anderen verlassen, ich musste in den letzten drei Jahren meine vier Angestellten entlassen, die Baustelle hier um den Laden herum, die schneidet mir immer wieder die Kundschaft ab, die Corona-Auflagen … das waren keine leichten Jahre.“ Sie fährt fort: „Und 2019 habe ich beschlossen, all mein Trinkgeld konsequent zur Seite zu legen, um eine Reise zu machen. Um mal etwas zu machen, bei dem es nur um mich geht. Nicht am Haus arbeiten – das habe ich nämlich von meinen Eltern geerbt – nicht im Laden stehen … nur um mich.“ 

„Was für ein guter Entschluss“, nicke ich ihr zu. 

„Im Oktober habe ich das Geld gezählt – und was soll ich sagen? Ich hatte es zusammen. Es war so viel – ich habe direkt gebucht!“, lacht sie. 

Ich lache mit: „Fantastisch!“ 

„Ja, und ich weiß, das ist alles sehr luxuriös, was ich da mache, ich meine drei Wochen Südindien, aber das ist echt ein Traum …“, sagt sie. 

„Den Sie sich selbst erarbeitet haben“, ergänze ich. „Das ist doch toll! Ich freue mich sehr für Sie!“ 

Sie schaut ohne Ziel an die Decke: „Ja, ich glaube auch nicht, dass die Dinge einfach nur so geschehen, ich meine – vielleicht hält das Leben noch irgendwas für mich bereit.“ 

Tief atme ich ein und betrachte sie. Da steht ein Mensch vor mir, der in den letzten drei Jahren so viele Nackenschläge kassiert hat – und glaubt an das Leben.

„Mit der Einstellung bin ich mir sicher, dass Sie eine fantastische Zeit haben werden, genießen Sie das, wer weiß, was Ihnen dort alles Wundervolles begegnet“

Wir schauen uns einen Moment an. 

„So, nun habe ich aber genug gesabbelt“, sagt sie schnell.

„Ich danke Ihnen für Ihre Geschichte“, erwidere ich.

„Danke“, lächelt sie, „und kommt gut nach Hause – fahrt vorsichtig, die rasen hier manchmal wie die Bekloppten“ 

„Vielen Dank, machen wir. Eine gute Reise wünsche ich Ihnen.“ Es bimmelt neben mir, ich mache einen Schritt raus in die kühle Luft, hinter mir fällt die Tür ins Schloss.

Wenn wir Menschen begegnen, dann treffen wir sie in Räumen. In Räumen mit Wänden wie Drogeriemärkte oder Fischläden, Schuhgeschäfte oder Wartezimmer, aber auch in ihren emotionalen Räumen, ihren Erinnerungen, ihrer Trauer und ihrem Glück. 

Immer wenn uns ein anderer Mensch an seinen Gedanken teilhaben lässt, öffnet er oder sie uns eine Tür und lässt uns herein. Manchmal nur bis in die Diele, manchmal werfen wir einen Blick in den Keller, manchmal sehen wir das ganze Haus. 

Und immer dann, wenn uns jemand etwas von sich erzählt, wenn uns jemand hereinbittet, dann kann Nähe entstehen – wenn wir nur zuhören. Ob mit engen Freunden, Bekannten oder Fremden, wir werden für einen Moment Teil ihrer Geschichte.
Nicht immer bleiben wir für lange, manchmal bittet uns jemand nur ein einziges Mal herein und manchmal bleiben wir nur kurz und schließen danach für immer die Tür hinter uns. Doch jeder einzelne, noch so kurze Schritt über eine Türschwelle in die Geschichte eines Menschen ist kostbar und ist es Wert, dass wir uns die Zeit nehmen, bei ihm zu verweilen und hinzuhören.

Kolumne – Gedankenkiosk

No Vizefreitag, aber einer früher. Passt heute, also wird das so gemacht. Tage wie zweiter Gang und Gas für den fünften, wie Karibik mit warmem Zimtkakao.

Frage mich immer wieder, wieso ich auf Facebook nur noch bekloppte „Vorschläge für dich“ bekomme – nur noch GlamspamOmasApothekenRezepte-Seiten, die irgendeinen Müll posten – beruht das auf meinem Leseverhalten? Also auf nix? Ich lese ja nix mehr, ich klicke nur noch weg. Und dann scrolle ich mich weiter durch die krude Mischung aus Pilszsammelwanderungen und Werbung für ein Michael-Jackson-Musical und kann mich gar nicht entscheiden, worauf ich mehr Bock habe.

Manchmal ist mir die virtuelle Welt fremder als der neue Postbote, der gefühlt nie bei mir hält, sich aber bestimmt genauso oft wie ich immer noch fragt, warum zum Kuckuck die Hausnummer 4 zweimal existiert. Smileys und Bok haben das inzwischen gebucht – das Essen bleibt also warm und an meine Briefe gelange ich früher oder später immer. 

Zurück zum WWW. Dieses Miteinander oder vielmehr Gegeneinander, was ich häufig in den Kommentaren wahrnehme – Menschen, die sich gegenseitig beleidigen, die klugscheißern, dass man ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln bekommen könnte, die – anstatt einfach weiterzuscrollen – die Anonymität des Internets nutzen, um ihr hässliches Inneres zu zeigen, alles ungefiltert rauskloppen, was ihnen gerade durch die Nervenbahnen zuckt – war das früher schon so? 

Waren wir einfach weniger im Netz und kam es mir deshalb noch nicht so inflationär vor mit dieser Kommentarinkontinenz? 

Gerade habe ich ein bisschen in meinem alten Blog gestöbert – November 2005 ging der erste Text von mir online. Ein Blog – ey, das war sowas von NEU, das war sowas von OhYeah,-wir-sind-die-Ersten, also man traf sich nach einer Weile des Schreibens in einer gemütlichen Runde im Internet, kaum zu glauben. Schön war das – immer dieselben Nasen, irgendwie kannte man sich gar nicht und dennoch… Freundliche, frotzelige, intelligente Kommentare mal hier oder da, ich kann mich an keine einzige Löschung erinnern. Ich habe ein bisschen Sehnsucht nach diesem Ort. 

Gestern erzählte mir eine Klientin, die Mitte Zwanzig ist, dass sie Sorge habe, dass mit Anfang 40 der Spaß vorbei sei, da ihr jemand in diesem Alter auf einer Feier wehmütig aus seinen Zwanzigern berichtete. Ob das wohl so sei, wenn man älter wird, ob man dann der Jugend hinterhertrauere? 

Kann sein, dass es manchen Menschen so geht. Kann aber auch sein, dass es eher ein Gefühl ist, welches sie vermissen. Ein Gefühl für sich und die Welt um sie herum, dass ihnen in ihrem gegenwärtigen Leben etwas fehlt, was damals da war – Flexibilität, Freiheit, Leidenschaft, Verbundenheit … oder irgendetwas anderes?
Es gilt, genau hinzuschauen, ob wir wirklich eine Alterszahl vermissen oder ob uns ein Zustand abhandengekommen ist, der sich damals gut angefühlt hat.

Ich für meinen Teil erhöhe gerade wieder aktiv die Anzahl meiner Live-Begegnungen mit echt guten Menschen. Positive Energie, die sich gegenseitig beflügelt, Einblicke in Gedanken, Austausch und Kontakt. 

Und vielleicht auch einfach wieder mehr Blog anstatt Insta und Facebook.

Wenn Du Lust hast, ein bisschen was aus „2005 plus“ zu lesen, dann klick doch mal hier:

www.dieschroederei.com

Wonach hast du manchmal Sehnsucht?

Über mich – Auflösung 1

Biografisches Schreibratespiel

Hier die erste Auflösung meines kreativen Rateschreibspiels „Über mich“ vom 7. August 2023, die Nummer 5 ist wahr. Und das Ganze begab sich folgendermaßen:

Wieder ein Donnerstag, wieder auf dem Weg in den Kaiserkeller. Ich wohne in einem Stadtteil Hamburgs, der so charmant ist, wie diese dünnen Papierservietten in Eiscafés, die alles verteilen aber nichts aufsaugen. Mein Fiat Panda klappert unterhaltsam, das Autoradio funktioniert erst mit sanftem Fußtritt, es ist 21:30 Uhr, der Wecker klingelt auch die nächsten zwei Wochen um 6, doch ich bin jung und Nächte durchzumachen ist reine Trainingssache. 

Tagsüber bin ich in der Buchhaltungsabteilung der Holsten-Brauerei, die Stunden dazwischen verbringe ich auf der Tanzfläche unter der Erde oder bei Musikproben im Luftschutzbunker. Kurt Cobain ist seit über einem Jahr tot, doch es ist noch immer die Zeit des Grunges, des Alternativrocks, wir haben wilde, gefärbte Haare, karierte Hemden und dicke Boots an und ich bin auf der Suche nach coolen weiblichen Vorbildern und einem norddeutschen Eddie Vedder und versinke in „Reality Bites“.

Die besten Stunden, das sind die, wenn die schwere Tür des Bunkers nachgibt und wir die kühlen Räume betreten, in denen es im Erdgeschoss nach Urin und Muff riecht. Vier Stockwerke hoch, aufschließen – und drei Stunden das Beste der Welt machen: Musik mit Freunden. Schmerzende Arme an Wochenenden – wir schleppen Boxen und Instrumente, laden sie ins Auto, spielen in der Prinzenbar, auf dem Rathausmarkt, im Knust, Marxx … 

Das und der Kaiserkeller – zwei Orte, die meiner Melancholie und dieser immer wieder drängenden Frage „Wo gehöre ich hin?“ ein paar tröstende Antworten anbieten.

Dreißig Minuten später – ankommen auf dem Kiez, das Unmögliche schaffen: einen Parkplatz finden. Treppen runter in den Keller, Jacke beim DJ deponieren, checken, wer da ist, Selter holen, dann rauf auf die Tanzfläche und vier Stunden nur noch zum Trinken und kurz „Hallo“ sagen pausieren: Stone Temple Pilots, Garbage, Smashing Pumpkins, Pearl Jam, Soundgarden, ich bewege mich, ich schwitze, ich fühle jeden Ton, es ist, als polstere die Musik mich von innen gegen alles, was von außen kommen mag. 
Mit Tom, dem DJ, kurz schnacken, auch mal über Musik, auch dass ich Musik mache – ob wir ne CD haben? „Bring doch mal mit“! 

Ein paar Wochen später – wieder ein Donnerstag, alles wie immer, doch der DJ winkt mich ran: „Gefällt mir, spiele ich nachher mal was von, Nummer Sechs?“
Und dann die ersten Töne, das sind wir. „Lie to me“ – ein Song über Wunden und Wut, mein Herz schlägt schneller, es gehen mehr Leute auf die Tanzfläche, ich nicht. Hinter einem Pfeiler stehe ich – meine Stimme auf der Tanzfläche, ich scanne jedes Detail. Jeder Moment ist einmalig in seiner Zusammensetzung aus Tatsachen, Gefühlen, Projektion und Besetzung. Nichts wird sich je wiederholen. Ich schließe meine Augen und nehme ihn mir, diesen Moment, ich betaste ihn, ich präge ihn mir ein – und verwahre ihn an einem sicheren Ort.

Zwei Jahre später renne ich in meinen Doc Martens weg – vom Dasein als kaufmännische Auszubildende, hin zur Uni Hamburg. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt, das Ding ist abgeschlossen, nicht glänzend, aber ich habe jetzt einen Beruf. 
Ich habe jetzt also einen Beruf, den ich nicht mag und der mir das Gefühl gibt, zu altern bevor ich alt werde und beschließe: das kann es nicht gewesen sein. Also lasse ich den Wunsch meines Vaters platzen, lehne eine begehrte Übernahme dankend ab und studiere Journalistik, Germanistik und systemische Musikwissenschaften. 

Für Journalistik brauche ich ein Praktikum. Radio ist genau mein Ding, Delta Radio zu dem Zeitpunkt vor allem, ich gehe mit Kollegen auf Konzerte, lerne Interviews zu führen, Beiträge zu verfassen, zu schneiden, zu moderieren, treffe bei einer Pressekonferenz George Clooney und Greg Graffin, der Sänger von Bad Religion, hält mir eines Tages lächelnd die Tür auf, als ich Feierabend mache, wieder so ein Moment. 

Das Schönste aber sind die Feierabende mit Kollegen, exklusive Konzerte, Nächte an Bartresen, gute Gespräche, diese ganzen Monate – eine Zeit, in der ich mir, anderen und dem Leben sehr nahe komme, Leichtigkeit und Freude in so Vielem finde. 

Und dann sitze ich im Auto, donnere mein Radio in die Halterung, schlage mit der Handfläche hinterher, bis der Kontakt sitzt. Mein Kollege moderiert eine Sendung für Newcomerbands ohne Plattenvertrag – „Und als nächstes hört Ihr eine Hamburger Rock-Band, Novocane …“ Ich fahre nicht los, ich drehe lauter und lehne mich an die Kopfstütze. 

Ich wünsche mir in dem Moment, das Leben könnte so weitergehen – indem ich Orte finde, an denen ich mich richtig fühle, Menschen, mit denen ich ich sein kann, mit Augenblicken, die für die Ewigkeit sind. Dann drehe ich den Zündschlüssel. Probe fängt in einer Stunde an.

Übung für die Gruppe – Kreatives, biografisches Schreiben

Aaaah, wie schön!! So viele neue Gesichter in den letzten Wochen im Soulwriters-Club – und ich habe festgestellt, dass es kein, aber auch gar kein richtiges „Über mich“ irgendwo gibt. Ihr wisst ja gar nicht, mit wem Ihr es hier zu tun habt! 😎👽🦄

Ich packe in den nächsten Wochen mal was in die Highlights auf Instagram, so einen astreinen Werdegang für alle, die es interessiert – heute hab ich mehr Lust auf ein „Über mich“ gekoppelt mit einem Ratespiel und einem Tipp zum kreativen, biografischen Schreiben in einer Gruppe – also – haste Bock? 
Dann rate mit: Nachfolgend findest Du 7 Informationen über mich und mein Leben. 6 stimmen, eine nicht. 
👉🏼👉🏼Was glaubst Du – welche Info über mich stimmt nicht? (Freunde, Familie, anderweitig Informierte – natürlich nicht mittippen) 
Dein Tipp – bitte JETZT ab in die Kommentare! 

Und wenn Du möchtest – mach mit!! Entweder auch direkt in die Kommentare schreiben – oder schreib einen eigenen Post mit ein paar Infos und einer Lüge über Dich – mit dem Hashtag #unglaublichaberwasbloß

Ich rate auf jeden Fall bei jeder/m mit!
✍🏼❤️😃

  1. Vor zwanzig Jahren tanze ich mit Karl Dall in einem kleinen Club auf der Reeperbahn Polonaise.
  2. Ich finde es grauenhaft, mit ungleichem Besteck zu essen. Wenn ich einen runden, schweren Messergriff und eine Gabel mit eckigem Griff und leichtem Gewicht in den Händen habe, versuche ich, Besteck zu tauschen.
  3. Mit 14 hatte ich mal eine Würgeschlange um meine Schultern – im Terrarium bei Rüdiger Nehberg zu Hause.
  4. Mein Hochzeitskleid im Dezember 2017 war knallrot. In unsere Ringe ist jeweils ein Auszug aus einem Muff-Potter-Song graviert.
  5. Ein Song von der ersten und einzigen CD, die ich mit meiner früheren Band Novocane aufgenommen habe, wurde sowohl im Radio (Delta Radio) als auch im Kaiserkeller (Club, Große Freiheit/Hamburg Reeperbahn) gespielt.
  6. Das großflächige Tattoo auf meinem Rücken hat 6 Stunden gedauert. Im Zentrum ist ein Kolibri, der Optimismus und Leichtigkeit symbolisiert – etwas, was ich immer in (und an) mir tragen möchte.
  7. Seit meinem 5. Lebensjahr habe ich von meinen Eltern keine Geburtstagskarte mehr an „Julia“ adressiert bekommen, stattdessen heiße ich familiär seit 43 Jahren „Emma“. Schon als Kind war ich ein großer Fan von smarten, starken Frauen – Emma Peel war mein Idol – und ich rannte auf kurzen Beinen herum und rief: „ICH bin Emma Peel!!“

Tipp zum kreativen, biografischen Schreiben in der Gruppe:

Jeder macht so eine Auflistung mit sechs (oder mehr/weniger) richtigen und einer falschen Info. Der/die Erste liest laut vor und die anderen geben ihren Tipp ab. Dann wird aufgelöst.
Die/der Nächste macht weiter.
Anschließend schreibt jede/r über einen der wahren Punkte einen kurzen biografischen Text über den Hintergrund dieser Info in der Ich-Form und im Präsenz.

Foto: @mayameiners.fotografie

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Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und eine Woche wie drei Tüten Brausepulver auf einmal im Mund. 

Überschäumend vor Glück ist eine Redewendung, mit der ich was anfangen kann. Ein Moment, in dem alles stimmt, alles so gut ist, dass ich am liebsten den Kopf in den Nacken werfen und einfach nur „JAAAA!!“ brüllen möchte. So so gut, dass es fast weh tut. Menschen, die springen, Menschen, die singen, jeder für sich und doch alle im Einklang. Das kann Musik, und ich bin mir sicher: mein Herz ist aus Rock. 
Vor 32 Jahren hat sich etwas in meiner DNA angesiedelt, was mit einem Ton reaktiviert wird, was mit einem Akkord soviele Emotionen auslöst wie bei manchen Menschen die dritte Runde Titanic mit Céline-Geheule.

Ein bisschen klebrig, sehr muffig und dunkel kann manchmal der schönste Ort sein, wenn „Kiffen verboten“ ist, aber viele betrunken, wenn auch ein schlechter DJ der guten Musik nichts anhaben kann. Dann sind wir in Sicherheit, in unserem Element, wo wir lange jung waren und jetzt langsam alt werden. Graue Haare lösen graue Haut ab, wir sehen gesünder aus, aber nicht mehr elastisch. 
Macht nichts, Hauptsache, der Blick auf die Welt bleibt weit, und ein Verständnis davon, was wichtig ist für ein gutes Miteinander. 
Was braucht es zum Leben? Manchmal orangefarbenes Licht unter Oldschool-Markisen, Katzenfell unter den Fingern und das gute Gefühl, dass die falschen Entscheidungen in der Vergangenheit liegen. 

Wovon wir zehren? Von der Weite des Meeres, guter Luft in den Lungen und Frieden mit dem Hier und Jetzt. Ein Geschenk. Ein Ausschnitt. Wenigstens ein paar Minuten am Tag. 
Viva la Zukunft. 

Zitat des Tages: „Ohne Musik wär’ alles nichts“ – Wolfgang Amadeus Mozart 

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Biografisches Schreiben – „Nur mal probieren!“

Regen prasselt gegen die Fensterscheibe hinter mir, ich sitze am weißen Küchentisch, meine Mutter steht am Herd. In der Pfanne wendet sie dicke braune Würste, so groß wie Auberginen. Um die Herdplatte herum ist alles gesprenkelt von kleinen Fettpunkten, der Dunstabzug röhrt auf Stufe Drei durch die Mittagsruhe. Die Ärmel meines Sweatshirts schiebe ich hoch, meinen Rock habe ich ausgezogen, ich sitze nur in meiner roten Strumpfhose auf dem kühlen Küchenstuhl, vor mir kleine Dampfwolken, die aus dem gelben Kartoffelpüree in die Luft steigen. „Nur mal probieren“ ist die Devise. Ich erinnere, wie das schmeckt. Aber nur wenn ich „wenigstens mal probiere“, gibt es die anderen Würstchen. Welcher Erwachsene hat sich den Quatsch bloß ausgedacht? An seine Kindheit kann sich der sicher nicht erinnern.

Meine Mutter kommt mit der ganzen Pfanne an den Tisch, es blubbert und brutzelt, plötzlich ein stechender Schmerz, ich schaue auf meinen Oberschenkel und ein dunkelroter Fleck breitet sich auf meinem Bein aus, Fett auf meiner Strumpfhose.

Da liegt sie vor mir. Schwarz, prall, der Geruch etwas säuerlich, würzig, ich schaue meine Mutter fragend an, sie sagt: „Na los, einmal aufschneiden!“ 

Ich seufze, setze das Messer an, die weiche Haut gibt etwas nach, die Spannung kann ich bis in den Messergriff spüren. Etwas fester drücke ich, dann schließlich ein leises Ploppen und durch ein Loch in der Haut quillt die schwarze, krümelige Masse heraus. Ab und zu dazwischen ein größerer Brocken, der schrumpelig aussieht – Rosinen. Tief atme ich ein, schneide das Loch etwas größer und lasse die Welle herausbröseln auf meinen Teller. Soviel wie nötig schiebe ich auf meine Gabel – es gibt laut der Erwachsenen ja eine bestimmte Menge, ab der es erst als wirkliches Probieren gilt. Also diese Menge liegt nun da, bereit zum Testen, ich rieche das Säuerliche und Würzige noch deutlicher, schließe die Augen und lenke die Gabel in den Mund. Von innen versuche ich meine Nase zu verschließen, das Riechen einzustellen, dann wird auch das Schmecken weniger. Doch die schwarze Masse ist penetrant, die Krümel schieben sich in jede Zahnlücke, kleben an meinen Wangeninnenseiten, ich öffne meine Augen wieder und spüre, wie sie anfangen zu tränen. Ich möchte schlucken, mein Hals will das Gegenteil, ich versuche meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen, um zu signalisieren „Ja, oh ja – das habe ich jetzt aber probiert, ich schmecke ganz genau…“, dann greife ich zum Glas und spüle die krümelige Pampe mit Wasser herunter. Eine Rosine rutscht an meinen Backenzähnen vorbei, ich fühle, wie sich die Haare auf meinen Unterarmen aufstellen. Nach dem zweiten Schluck Wasser schüttele ich mich und schiebe schnell Kartoffelbrei hinterher. Geschafft. Wieder ein Jahr Ruhe. Ich hasse Grützwurst bis heute.

Schreibaufgabe für Dich:

Denke an ein Essen aus Deiner Kindheit, welches Du besonders ekelhaft oder besonders köstlich fandest.
Beschreibe die Szenerie und den Moment des Essen, Deine Gefühle und Gedanken dabei mit allen Sinnen!

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Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und eine Woche wie ein Fisherman’s Friend, den man am Taschenboden findet – kurze Freude, dass er da ist, aber irgendwie auch Bäh. Und dann doch okay, ist ja meine Tasche.

Judith Hermann gelesen und wieder einmal festgestellt, dass es zwar stimmen mag, dass man Schreiben lernen kann – aber dass es dann noch die gibt, die es neben dem guten Handwerk vermögen, Worte aus ihrem Inneren anzutippen, zu pflücken und zusammenfügen, auf eine Weise, dass ich mich dabei ertappe, wie ich beim Lesen seufze vor lauter Schönheit schwarz auf weiß.

Über die Sexyness von Worten nachgedacht. Komedonenquetscher. Ist genauso ätzend, wie es klingt – ein kleines Instrument mit einem schlingenförmigen Ende, zum Mitesser ausdrücken. Keine schöne Sache, kein schönes Wort. Splanchnologie. Nicht nur meine Zunge verkrampft sich – in der Medizin die Lehre von den Eingeweiden. Ja, die hat jeder, muss man sich eigentlich nicht anstellen, trotzdem bekomme ich leichte Gänsehaut wenn ich an Eingeweide denke, zuviel Trash-Horror in den Neunzigern. Was ich damals so abkonnte. Steven King Tag und Nacht. Heute nicht einmal mehr „True Detectives“ nach Acht – ich schlafe dann schlecht.

Es gibt unbequeme Worte wie Krätze, Ratenkauf oder Pappabstrich. Und scheiß Buchstaben-Kombis wie AfD.  In meiner Praxis fielen in einer Sitzung wieder einmal diese: Prinzip und Routine. Erstmal nicht so attraktiv, die beiden. Aber wenn man sich ne Runde zusammensetzt, ein Glas mit ihnen trinkt, lernt man sie von der anderen Seite kennen. Die zwei können sogar cool sein. Vor allem, wenn man dabei ist, sich zu verlieren oder sich zu suchen.

Wir haben einen Kater, dessen Routinen wirklich nicht meine sind – er maunzt seit Tagen um 5 Uhr lautstark in mein Ohr, weil er meint, ich könne doch jetzt schon Frühstück machen. Wahlweise wird das Band des Rollos zwischen die Zähne geklemmt und so daran gezogen, dass es lautstark gegen das Fenster klötert. Hatte ich mal erwähnt, dass ich Katzen eigentlich nicht mag? Bevor einer schreit: Unsere liebe ich natürlich. Ich füttere sie auch.

Kurze Momente mit Menschen, die mit drei Sätzen ein Gefühl von „Wir funken auf derselben Lebensfrequenz“ auslösen – manchmal reichen die kleinen Worte, ein Einblick in die persönliche Gedankenwelt und da ist ein Gefühl von „Wie schön, dass es solche Menschen gibt“.

In Träumen wiederum solchen begegnet, von denen ich hoffe, dass es sie nicht gibt. Und kurz an Nerudas Frage gedacht „Wohin gehen geträumte Dinge?“. In diesem Fall hoffentlich dahin, wo vor lauter Hitze noch nicht einmal mehr Pfeffer wächst. Übrigens ein wunderbares Buch mit wunderbaren Fragen, unbedingt mal reinblättern. Pablo Neruda. Der zwei Jahre bevor ich geboren wurde, starb. Senator der Republik Chile gewesen, ein Schriftsteller und ein Dichter, Träger des Literaturnobelpreises und Kämpfer gegen den Faschismus. Google sagt, es gibt einen Film über Neruda. Mal schauen.

Und dann bleibt da noch die Frage – was mache ich, wenn Hummeln gegen mein Fenster fliegen? Dicke Brummer ploppen in regelmäßigen Abständen vor meinen Augen gegen Glas, Vogelaufkleber kenne ich, aber da stellt sich die Frage, ob die auch bei Hummeln wirken und was mit den Hummeln hier in Hamburg-Hamm eigentlich los ist? Hummelkneipe ums Eck, halluzinogener Blütenstaub oder auf dem Weg von West- nach Osthamburg auf den letzten Metern einfach keine Kraft mehr, nach Navi zu fliegen? Werde diesen Fragen nachgehen.

Tageszitat:

Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge

Arthur Schopenhauer

Kolumne – Gedankenkiosk

Bild mit Frauenkopf, auf dem viele Bücher liegen, eine Uhr im Hintergrund. Viele Gedanken.

Vizefreitag und Tage wie eine Tuschkastendeckelinnenseite.
Beschlossen, mir das letzte Wintergrau von der Haut zu klopfen und soviel Fahrrad zu fahren wie möglich. So ein Fugenreinigerdings für eine schöne Terrasse bestellt, welches nun im Flur liegt und mich fragend anschaut.

Die Routinen von so viel Neuem durchzogen, dass ich die Woche kaum erkenne, mein Geist tobt glücklich im Bällebad, denn Soulwriters-Club goes Festival und mein Schreiben bald wieder öffentlich, dazu später mehr. „Später“ sollte man eigentlich nicht machen, das Leben ist jetzt und jeder Moment kostbar – und @dies_ist_elke_heidenreich hat Recht mit ihrem Satz (@zeitmagazin, „Was ich gern früher gewusst hätte“): „Wenn du dir ein Tier anschaffst, musst du wissen, dass dein Herz bricht, wenn es stirbt.“ Unser Lucky lebt hoffentlich noch lang. Einen rasierten Bauch hat er nun, aber keinen Krebs. Ich ein paar Federn weniger.

Mit einer Klientin über Selbstwirksamkeit, und Authentizität gesprochen, einer der schönen Abschiede, es geht ihr gut. Und ein Gespräch über den Tod, Schmerz und Loslassen und festgestellt „Das Leben ist für die Lebenden“. Und dann sitze ich hinter viel Glas und höre von der Spitalerstraße den Prediger, der Passanten beim Mitlaufen etwas von Gott ins Ohr schreit, während ich mein Testament unterschreibe. Kein akuter Anlass, ein paar Dinge sollten geregelt sein, so lebt es sich besser. Immer in Bewegung, im roten Shirt mit einem Buch direkt unter seinem Kinn, als würde er die Worte auf den Deckel spucken.
Zwischen Klamottengeschäften hallen seine Worte wieder und er läuft und ruft und skandiert gen Himmel, aber er schaut die Menschen nicht an. Wie es wohl in seinem Kopf aussieht?

Ein Abend wie ein Ingwershot für die Gedanken und Wärmedecke für die Seele – israelische Köstlichkeiten und Menschen, die in Kontakt treten und Gedanken teilen. Danke, liebe Businessmoms. Das war herrlich.

Lang ist der Weg durch die Nacht, die Kette klackert, Pflastersteinkanten stellen sich tollkühn in den Weg.
Ich mit verschwitzter Stirn und Besenstil im dunklen Garten. Schlüssel vergessen.


Tageszitat: Die Entfernung ist unwichtig, nur der erste Schritt ist wichtig. (Marie de Vichy Chamrond)